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› the ghost who refuses to play dead


  Ich habe diesen Film abends gesehen, spät, ich weiß nicht mehr, wann und wo, als Beitrag einiger Filme, die unter einer bestimmten Thematik präsentiert wurden. Dokumentationen, teils unbekannter Autoren.

Meine Erinnerung setzt mit einem Bild ein: Szene am Strand, schwarzweiß, Rückenansicht einer ins Meer gehenden Gestalt. Eine Frau. Sie befindet sich bereits bis zu den Hüften im Wasser. Ihr Körper ist schlank. Sie scheint mittleren Alters und in meiner Erinnerung hat sie längeres dunkles Haar. Sie ist allein, und zuerst sieht es aus, als ob sie ein Bad nehmen wollte. Ihr Gang ist geradlinig, ohne Unterbrechungen.

Eine genauere Beschreibung meines Bildes ist mir unmöglich, nur Einzelheiten sind präsent. Spiegelungen von Licht in den Wellen, das mir durch unzählige, schimmernde Reflexionen in Erinnerung ist. Irgendwo dahinter eine Linie, die Wasser und Himmel teilt. Dies vor allem, als die Frau in den Wellen verschwunden ist und eine gewisse „Leere“ auf dem Wasser hinterlässt. Ich kann jedoch weder sagen, in welcher Höhe ein Horizont verläuft, noch Entfernungen genauer bestimmen. Nähe und Ferne variieren mit zunehmendem Verlauf der gezeigten Szene. Der innere Blick lässt sich nicht klarstellen, das Bild nicht einfrieren. Ich sehe die „Rückenansicht“ der Frau relativ nah, als könnte ich meinen Blick zoomen, zugleich sehe ich sie aber auch in unbestimmbarer Distanz, in einer merkwürdigen Aufsicht von Wasser und Himmel voranschreiten. Dies kann ich aber weder auf einen Einstellungswechsel, noch ein tatsächliches Zoomen der Kamera zurückführen. Im Ganzen ist mir der Film, ab dem Zeitpunkt, zudem die Frau im Wasser ist, ohne Schnitte und Einstellungswechsel im Gedächtnis.

Meine Erinnerung ist vom „Schauer des Unwahrscheinlichen“ getragen, der sich durch die vorgestellte Realität der aufgenommenen Szene im Kontrast zu ihrem mysteriösen Ende unweigerlich bei mir einstellte. Sie entspricht daher mehr einem kurzen Erlebnisbericht - gefühlte Erinnerung und weniger einer aufschließenden Schilderung des Bildverlaufs. Im Film, meine ich sagen zu können, war die ganze Zeit eine Atmosphäre einer nicht geplanten, zufälligen Aufnahme zu spüren, eine Art unbeabsichtigte Zeugenschaft, welche sich im schnellen Verlauf des Ereignisses mit seinem drastischen Ende zu einer tatsächlichen und wie unausgesuchten Teilnahme verdichtet.

Noch bevor ich verstehe, was eigentlich geschieht, hat die Frau bereits jene Grenze hinter sich gelassen, ab der man sich für gewöhnlich, mit den Armen zum Schwung ausholend, ins Wasser gleiten lässt. Sie hebt ihre Arme nicht, scheint sich nicht abstoßen zu wollen. Ich erinnere mich an ein deutliches Gefühl bangen Unbehagens, das sich bei mir bemerkbar macht, als ich das beobachte. Dann ist es bereits nicht mehr der Gang, den ich noch vor Augen habe, sondern in gleichsam abzählbaren Schritten das immer tiefere Eintauchen ihres Körpers in den Wellen. Schließlich ist sie bis zum Hals unter Wasser und einen Augenblick später verschwindet auch ihr Kopf. Die Kamera bleibt eine Weile, wie in Erwartung eines Wiederauftauchens aus den Wellen, auf den Punkt ausgerichtet, an dem die Gestalt untertauchte. Der Bildausschnitt war, glaube ich, groß genug, um selbst ein durch Wegtauchen bedingtes, ortsversetztes Wiedererscheinen der Frau in den Wellen ein zu fangen. Es geschieht jedoch nichts. Das Bild bleibt „leer“. Die Frau taucht nicht wieder auf.

Ich bin nicht mehr sicher, was ich dann gesehen habe, wie lange etwa das Kamerabild gehalten wurde, erinnere mich jedoch an Schwenks bzw. Suchbewegungen entlang des Wassers. Ebenfalls erinnere ich eine eindringliche, männliche Stimme, die das Geschehen von Beginn an begleitete. Ich kann mich jedoch nicht mehr Inhalte erinnern, meine aber, dass es sich hierbei um einen später dem Film zugefügten Kommentar handelte.
Die Ruhe und scheinbare Bewusstheit, welche die Frau bei ihrem Tun ausstrahlte, ist mir mit irritierender Stärke in Erinnerung geblieben. Ihr stetes und zielstrebiges Voranschreiten erweckte in mir den Eindruck, als würde sie von irgendetwas auf der anderen Seite des Wassers angezogen. Als sei sie auf dem Weg dorthin. Sie strahlte keinerlei Unsicherheit oder Zögerlichkeit aus. Sie ging nur.

Ich habe auch noch eine vage Erinnerung an einen Wechsel der Einstellung zu Beginn des Films. Ich meine, die Kamera war zu Beginn in Bodennähe, so als ob sie dort abgelegt worden sei und sich irrtümlich noch im Aufzeichnungsmodus befände. Ich glaube sogar, dass die Stimme im Off den Sachverhalt in irgendeiner klärenden Weise ansprach. Ich erinnere mich aber an keinen Wortlaut und auch nicht, was oder worauf das Bild zeigte. Es fällt mir dementsprechend auch schwer, den Ort des Ereignisses genauer zu bestimmen. Ich glaube jedoch im Verlauf des Films, bis zu dem Zeitpunkt, an dem mein Erinnerungsbild ansetzt, das Bild eines Strandverlaufs erhalten zu haben. Ufervegetation und wie von einer gewissen Höhe abfallend bis zum Wasser ein Strand.

Bernd Ruzicska, 2005

 

Bernd Ruzicska

Künstler / Galerist
RUZICSKA///WEISS Duesseldorf