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Cornelis Hähnel, Köln
Horror Vacui
Schnitt #64 / April 2011

 

In Anlehnung an Godard sagte Michael Haneke einmal über das Kino, Film sei 24mal Lüge pro Sekunde. In der Tat zeigen Hanekes Filme eine Skepsis gegenüber den Bildern, er spricht ihnen seine reine Abbildfunktion ab und lädt sie derart auf, daß der Zuschauer ihnen mißtrauen muß. Dabei ist es eigentlich eine grundlegende Qualität des Kion-Dispositivs, daß es den Film erfahrbar macht und den Zuschauer in das projizierte Geschehen "hineinzieht": Die Illusion erhebt den Anspruch, echt zu sein. Doch was passiert, wenn dieser Authentizitätsanspruch gestört wird?

Der Filmemacher und Künstler Romeo Grünfelder hat nun eine Anthologie zu der Frage "Gibt es etwas, das beim Sehen des Films einen Wiederspruch auslöst bzw den Zuschauer irritiert?" zusammengestellt. Das Werk ist eine Art literarisch-theoretische Fortsetzung von Grünfelders Film naissance d'un objet (2008), in dem er Elemente der Fotographie les spectateurs"von Paul Nougé aufgegriffen hatte. In dem filmischen Remake des Fotos sieht man eine Gruppe von Menschen, die etwas außerhalb der Kadrierung entdecken, ohne daß der Zuschauer sieht oder weiß, was die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zieht.
Horror Vacui versammelt Texte zu eben jener Störung der Wahrnehmung und dem Verhältnis zwischen Blick und Betrachter. Dabei wird ein umfassender Diskurs aufgemacht, der glücklicherweise nicht versucht, die Frage der "Leere" in einem zentralen Punkt zu bündeln, sondern ihr Raum gibt und sie in unterschiedlichsten Facetten beleuchtet. Auch konzentriert sich das Buch nicht nur auf den Film, sondern betrachtet das Phänomen der Abwesenheit in seiner Gesamtheit. So findet sich dort ein Kapitel aus der Physikvorlesung von Aristoteles, der über die Unmöglichkeit der Leere sinniert, sowie ein Text des schottischen Philosophen David Hume über Glauben und Wunder. Yvonne Wübben betrachtet die mediengeschichtliche Frage nach dem Ursprung der Bilder anhand der Laterna magica und Grünfelder selbst widmet sich dem Aspekt der Bewegung der Einzelbilder während der Projektion. Doch den besonderen Reiz erhält das Textbouquet durch den literarischen Exkurs. So finden sich indem Buch Briefe von Thomas Mann, in denen er über seine Beobachtungen während spiritistischer Sitzungen schreibt, sowie grotesk-poetische Prosafragmente der Schriftstellerin Gabi Schaffner. Neben der inhaltlich hohen Qualität ist auch die gelungene Gestaltung zu erwähnen, auf die der Verlag The Green Box ebenfalls immer bedacht ist. Horror Vacui ist somit im positivsten Sinne viel Lärm um Nichts.