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Christoph Bannat
Kunst und Comic 4
kunst-blog.com, 01.06.09

 

Es gibt kaum Künstler, die das Medium Comic für ihre Arbeit nutzen und nicht nur zitieren. Der Amerikaner Jim Shaw hat mit seinen Dream Drawings eine ihm eigene Kunst-Comicform gefunden. Der in Hamburg als Filmemacher arbeitende Romeo Grünfelder hat jetzt einen Comic herausgebracht.
Timur Seidel/Romeo Grünfelder, Nelson Effect.
Verlag: www.thegreenbox.net, Vertrieb Vice Versa, www.federfilm.de

Romeo Grünfelder bekam 2002 sein Diplom in Visueller Kommunikation an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, bei Bernhard Johannes Blume und Hans Joachim Lenger.
Zuvor machte er einen Abschluss in klassischer Musik an der Hochschule für Theater und Musik. Hatte eine Assistenz bei der Filmproduktion Deevanapan in Bombay, Indien und eine Hospitanz beim Hessischer Rundfunk (TV). April bis März 2009 – stellte er in der Galerie Ruzicska/Weiss, Düsseldorf aus. 2008 war seine Arbeit - Subversion dímage, in der Galerie KUNSTAGENTEN, Berlin zu sehen.

Sein, mit Hamburger Fördermitteln produziertes Comicheft ist ästhetisch abschreckend. Formal biedert er sich beim Trivial-Comic von DC und Marvel an, ohne deren Dynamik oder Subtext-Reichhaltigkeit, wenn er denn gut gemacht ist, zu erreichen. Stilistisch scheinen die Zeichnungen sich Illustrationen in Apothekenheftchen als Vorbild genommen zu haben. Und trotzdem funktioniert dies Heft. Romeo Grünfelders Philosophie wird deutlich. In seiner Geschichte geht es um das Energiekontinuum, das entsteht wenn Menschenmassen sich finden. Jene unbewusst kybernetische Energie, die Revolutionen gebiert. Die Comicgeschichte schwirrt zwischen dem forschenden Individuum (Prof. Dr. J.Granizo, der in Ichform erzählt) und jener unbewussten Menschenmasse. Deren Energieverklumpung verlegt Romeo Grünfelder, zeitgemäß, in ein Fußballstadion. Dabei kommt der Comic als Grenzmedium, hier zwischen Storyboard und selbstständiger Narration, zum Tragen. Dabei liegt das formale Versprechen dieses Heftchens, paradoxer Weise, in seiner Falschheit. Es ist weder philosophischer Essay, noch Storyboard, noch gut gemachter Comic, erinnert aber ständig an all die Möglichkeiten, die dieses Medium bietet.

Christoph Bannat(C.B.): Was hat der Comic mit Ihren Filmen zu tun?

Romeo Grünfelder(R.G.): Im Vordergrund stand die Suche nach einem dramatischen Aufbau einer zeitlich gebrochenen Erzählung, was ja in sich schon ein Widerspruch ist. Denn paranormale Korelationen lassen sich schon allein aufgrund ihrer Definition nicht in dramatischen Handlungszusammenhängen erzählen, die auf einem Ursache-Wirkung-Prinzip gründen. Insofern stellt Nelson Effect für mich ein Experiment dar, das, außer dass das Experiment inhaltlich seine Entsprechung findet, als Storyboardvorlage eines dokumentarischen Science Fiction völlig unbrauchbar ist. Die Comicherstellung lieferte dennoch eine lehrreiche Erfahrung in Bezug dramaturgischer Arbeit mit Widerständen. Insofern begreife ich den Comic als literarische wie visuelle Skizze zu begriffslosen Phänomenen, wie ich diese schon zum Teil mit meinen bislang realisierten Filmen verfolgte. Einzelne Elemente werden sich also durchaus im Film wiederfinden, wenn auch womöglich in stark modifizierter Form.

Prinzipiell glaube ich, dass die Frage nach Einstellungen, Sequenzen, Bildfolgen - mit der der Comic wie auch der Film zu tun hat - elementare Fragen der Zeit berühren. Mit der Subversion einer auf Höhepunkte ausgerichteten Dramaturgie versuche ich dem Aktionsbild zu widersprechen. Das heißt nicht, dass ich es negiere. Im Gegenteil. Im Moment des Aufeinandertreffens zweier Aktionen - bei Nelson Effect z. B. der Bricolage im Keller und dem Spiel auf dem Rasen - wird die Zeit nicht mehr länger der Bewegung einer Erzählung unterworfen. Der „unzusammenhängende Zusammenhang“ taucht weniger als Höhepunkt denn als Widerspruch des Virtuellen auf – denn nicht die Aktion des Dämons, sondern die Zeit ist virtuell. Kurzum: Es geht in Nelson Effect wie auch in meinen Filmen nicht darum, die Narration dem Diktat des Zusammenhangs zu unterstellen, sondern darum, eine - welchem Genre auch immer verhaftete - Entwicklung aus sich selbst heraus zu forcieren, um verschiedene Narrationen in Bewegung zu setzen.

C.B.: Sie thematisieren in ihren Filmen die Anwesenheit des Abwesenden, kann man das so sagen?

R.G.: Eine Präsenz, die sich in ihrer Zeitlichkeit noch aristotelisch definiert, wäre vom Verständnis sicherlich das Gegenteil von dem, was mich an der Produktion meiner Filme interessierte. Sofern die „Geschichten“ also einem Schnitt – und sei er noch so immanent – unterliegen, und nicht umgekehrt, eröffnet sich mit ihm ein zeitlicher und damit auch ethischer Horizont, der das Andere nicht als Alterität des einen, Anwesenden begreift sondern als strukturelle Abwesenheit einer phallogozentristischen Ordnung. Die Anwesenheit einer Abwesenheit darin lesen zu wollen hieße immer noch einem imaginären Missverständnis zu folgen, das die Determinante, die Narration, den Plot zum Ziel hat. Sofern das Abwesende konstitutiv für das Anwesende wäre, könnte ich dem vielleicht eher zustimmen – bei aller Problematik, die der Begriff „Konstitution“ mit sich führt.

C.B.: Sie stellten in ihrer Berliner Ausstellung ein Bild von Paul Nougé nach?

R.G.: Ja.

La naissance de l`objet, Paul Nouge 1929

C.B.: Warum wählten sie gerade eine Photographie von Paul Nougé?

R.G.: Paul Nougé zählt als Stichwortgeber der franco-belgischen Surrealisten eher zu den wenig beachteten Personen, die zur Gruppe um René Magritte zählen. Als Biochemiker und Philosoph fällt er mehr oder weniger aus dem Rahmen einer tradierten Künstlervorstellung. Seine wenigen, bislang veröffentlichten Fotos sind jedoch deshalb nicht weniger präzise als die Werke seiner Kollegen, die ja mittlerweile die Wandlung zur Ikea-Bettwäschedekoraktion vollzogen haben. Nur hat sich Nougé Zeit seines Lebens gegen jede Art Veröffentlichung und Präsentation gesperrt. Selbst jetzt, 40 Jahre nach seinem Tod, ist es fast unmöglich, den Nachlass Nougés zu erreichen. Nougés Weigerung der Präsentation, der Vergegenwärtigung ist es, was mich in seiner Fotoserie „Subversion d’images“ sofort angesprochen hat. Denn auch die Bilder selbst verweigern sich einer Gegenwart, die sich der Präsentation entzieht. Damit meine ich keinesfalls das Erinnerungsbild denn viel mehr die Erinnerung selbst, die sich im Bergsonschen Sinne als inaktive Gegebenheiten alles Vergangenen virtuell verhält. Die filmische Reinszenierung zweier Bilder der Serie, nämlich „naissance d’un objet“ und „bras revelateur“, der allerdings seine Premiere noch erfahren wird, ist vor diesem Hintergrund zu sehen: als die Erinnerung an eine virtuelle Differenz von unzählig vielen Bildern zu sich selbst, wie sie die beiden Filme vorstellen.

C.B.: Die Bildmontagen und Schnittfolgen schaffen/erzeugen aber immer noch individuelle Erzählstrukturen im Kopf des Betrachters?

R.G.: Sofern es sich hier nicht um eine paranormale, alokale Korrelation zweier Elemente – nämlich Kopf und Film – handelt, müssten Sie mir erst noch erklären, worin der Zusammenhang besteht. Dass Ihre Synapsen im Moment der Betrachtung der Bilder verrückt spielen, ist weder Film noch Comic anzulasten. Umgekehrt scheint der Film nicht nur eine, sondern unzählige Wirkungen zu provozieren, über die trefflich spekuliert werden kann. Damit verhält es sich z. z. B. ähnlich wie in der Musik. Erreicht sie der Schall einer gut hörbaren Schallquelle auch, wenn Sie sich zwei Meter von Ihrer eigenen Position entfernt befinden würden? Aller Erfahrung nach: wahrscheinlich - aber sicher können Sie sich nicht sein. Rechtfertigt dies umgekehrt allerdings schon zur Annahme, dass ohne Ihren Kopf keine Musik, keine Melodie und schließlich keine Erzählstrukturen geschaffen würde? Alle möglichen und sichtbaren, respektive hörbaren Wirkungen wären nach platonischem Denken nur unterschiedliche Erscheinungsformen, und das widerum scheint die Problematik zu treffen, auf die es mir ankommt. Die landläufig sinnfreien Hypothesen schließlich, dass Film aus bewegten Bildern besteht, dass Bilder Geschichten erzählen, dass sich Erzählstrukturen individualisieren mittels Montage von Bildern oder noch beliebter, von Bildern und Tönen etc., entstehen allerdings und erschreckenderweise viel häufiger im Kopf des Betrachters, um den man sich dringend kümmern sollte - da gebe ich Ihnen sehr recht.

C.B.: Ihre Erklärungsversuche scheinen diese Vorurteile jedoch eher zu fördern denn aufzulösen. Beruhen alle Ihre Arbeiten auf dieser, sagen wir, „philosophischen Konstruktion“?

R.G.: Meine Arbeiten beruhen nicht mehr oder weniger auf dieser, als dass sie nicht auch auf jeder anderen Konstruktion beruhen und zugleich nicht beruhen würden.

C.B.: Um wieder zurück zum Grund dieses Interviews zu kommen: Wie sah denn eigentlich die Produktion des Comics Nelson Effect aus?

R.G.: Ich habe mir die Forschungsberichte des Forschers durchgelesen und gegrübelt, wie sich die darin entwickelte Ungeheuerlichkeit jemals in ein Projekt übersetzen ließe. Meine Vorstellung war von Anfang an auf Film fixiert, der Comic war auf dem Weg dahin eher ein letztlich willkommener Unfall. Das hing mit einer Aufforderung der Stadt Hamburg zusammen, die auf eine bestimmte Abschlusspräsentation der Hamburg Stipendiaten inklusive einer Veröffentlichung drängte. Das Filmprojekt war weder abgeschlossen noch in seiner Erscheinungsform präsent, weshalb ich mich auf ein Experiment einer Art des Dazwischens, eines Werdens einließ. Nach „naissance d’un objet“ war mir ja die Art Geburt von etwas, das nicht ist, „objektiv“ schon von meiner Arbeit aus Berlin bekannt. Im Horizont dieses Filmprojektes lag also die Geburt einer Storyboardvorlage, die kein Comic ist, nicht so weit weg. Den Zeichner Timur Seidel traf ich eher zufällig, seine Illustrationen und Zeichnungen überzeugten mich und der Rest ist schnell erzählt. In wechselseitigen Treffen legten wir die Charaktere, die Struktur einer narrativen Möglichkeit wie Unmöglichkeit, danach Details der sequenziellen Folgen fest. Wir arbeiteten lange an der narrativen Konzeption, sodass uns zur Umsetzung weniger Zeit blieb, als wir benötigt hätten. Kurz vor Drucklegung arbeiteten wir schließlich Tag und Nacht - eine Verausgabung, die uns beide vor physische Grenzen stellte.

C.B.: An anderer Stelle erwähnten Sie, der Comic sei als Storyboard gedacht. Diese Behauptung stellt sich hier jedoch etwas anders dar. Was ist Nelson Effect denn nun?

R.G.: Ein Storyboard – sofern Nelson Effect überhaupt eines wäre - ist ja kein Staatsvertrag, dessen Verletzung mit der Todesstrafe geahndet wird! Das Storyboard versteht sich in der Filmproduktion als eine Hilfe zur Klärung von Kadragen, von Abläufen, von Möglichkeiten, wie Bilder aufeinander reagieren und schließlich um mit anderen über ein Konzept diskutieren zu können - was wir auch in der Entwicklungsphase extensiv getan haben. Insofern missverstehe ich unseren Comic nicht als Produktvorlage eines reaktionären Kunstbetriebs, sondern als konzeptuelles Element innerhalb eines künstlerischen Prozesses und vor allem jenseits geschwätziger Zuordnungsbegriffe wie Kunstcomic, graphic novel oder Bildergeschichte. Noch gleichgültiger stehe ich der Frage von comicgebildeten Connaisseuren nach etwaigen Urgroßvätern wie z.B. Geoff Darrow und Moebius gegenüber. Natürlich ist es möglich, sich darüber empören, dass die Stars in Nelson Effect nicht Wolverine heißen, oder wenigstens Fix und Foxi, dass keine vergleichbaren Charaktere darin vorkommen, das ist schon wirklich ein unüberwindbarer Mangel des Comics und deshalb ist der Comic natürlich auch nicht gleich Kunst. Schon gar nicht, wenn das zeichnerische Handwerk insgesamt so gar nicht stimmt, alles nur abgekupfert wurde und die auktoriale Haltung sich nicht schlichtweg als genuin versteht. Darum geht es aber zum Glück auch nicht. Wer dennoch Sicherheit in der Frage „wann ein Comic Kunst ist“ sucht, ist gut beraten, einschlägig vorbelastete Autoritäten zu befragen, allen anderen sei geraten, sich das selbstständige Denken nicht abzugewöhnen.

C.B.: Stellt man sich den Comic als Film vor, sieht man unweigerlich das Filmbudget, dass jeden vernünftigen Rahmen gesprengt hätte. War das ein Grund diese Form zu wählen?

R.G.: Das stimmt, die Dokumentation des Maxwellschen Dämons als Spekulation über Unstimmigkeiten des zweiten, thermodynamischen Hauptsatzes sprengt den Rahmen der Vernunft. Daneben ist es ohnehin unvernünftig, ein Konzept, das sich im Horizont Kunst zu behaupten versucht, unter ökonomischen Bedingungen einrahmen zu wollen - nicht erst, wenn das Filmbudget mangels Förderer zusammengestrichen werden muss. Dennoch wird es Dank der Filmstiftung NRW einen Film geben und nicht nur bei der Vorlage bleiben, aller Vernunft zum Trotz.

C.B.: Interessieren sie sich für Comics und wenn für welche?

R.G.:Möbius’ Incal und die Sternenwanderer haben mich inspiriert, mit Grundbedingungen dramatischer Formen – z.B. der Peripetie und dem Wiedererkennen - zu experimentieren. Daneben gibt es eine Vielzahl an Comics, die mich zu Tode langweilen, entweder, weil sie sich selbst in der Reduktion auf eine Stilistik gefallen, oder weil mir irgendein pseudo-intellektueller Klugscheißer auf seine simplizierende Art die Welt ach wie raffiniert zu erklären versucht und dafür alles zu vergewaltigen bereit ist, was sich visuell offenbart. Eine Entdeckung hingegen war für mich die Raj Comic Serie mit dem schlangenmaterialisierenden Nagraj und allen visuellen Absurditäten, mit denen er sich rumschlägt – und obwohl auf Hindi geschrieben, zeugen doch allein schon die seltsamen Charaktere und bizarren Szenerien von Universen, an die der sogenannte „Comic“ so nur selten heranreicht.

Quelle:
http://kunst-blog.com/2009/06/kunst_und_comic_2.php