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Dietrich Brüggemann
Relationstheorie
Der Schnitt - Kurzfilmrezension
Nr.36 Herbst/04
S.64

 

Die Frage, die am Anfang jeder Filmkritik stehen sollte, vor jeder Reflexion und Rezension, lautet: Was ist hier zu sehen? Die zweite Frage hinterfragt die erste. Sie lautet: Kann die erste Frage überhaupt beantwortet werden? Oder anders gefragt: Kann das Gesehene so beschrieben werden, daß es in der Beschreibung wiederzuerkennen ist?

Versuchen wir es: Die Kamera blickt geradeaus durch die Windschutzscheibe eines rasenden Autos. Nach ungefähr einer Minute ein Schnitt auf das Innere eines offenen Cabrios. Die Kamera fährt zurück, irgendwo liegt eine Zigarette, aus der Rauch nicht aufsteigt, sondern absinkt, woran wir erkennen, daß die Bilder hier rückwärts laufen. Aus dem off die Stimme einer Radiosprecherin, die in Englisch von einem Unfall berichtet.
Soweit der Versuch, die erste Frage zu beantworten. Lassen wir die zweite Frage vorerst beiseite und gehen zur dritten: Was hat das zu bedeuten?

Grünfelder interessiert sich in Rallye für die filmische Konstruktion der Zeit, für die Vielfalt an Relationen, die der Schnitt ermöglicht. Was war zuerst, was danach, haben die beiden Einstellungen überhaupt miteinander zu tun, produziert der Film Narration, ist der Unfall nicht eher ein Un-Fall im Sinne einer nicht stattfindenden Geschichte?

Rallye ist kein Experimentalfilm, denn er weiß, was er will. Grünfelder will nicht mißverstanden werden, er versteht den Film als intellektuelles Konstrukt, als Beitrag in einem unendlichen Diskurs, und die Menge dessen, was er zu sagen hat, steht in umgekehrten Verhältnis zur Kürze des Films. Diese Art der filmischen Bewußtseinsverhandliung mag verdienstvoll sein, in ihrer Wirkungsbreite ist sie freilich von vornherein limitiert, da das Endprodukt meist so sinnlich ist wie acht Semester höhere Mathematik. Dennoch könnte man, gerade zur Dekonstruktion der Kommunikationn, noch viel sagen, ohne der Sache näherzukommen, was widerum in der Natur der Sache liegt - insofern sollte die Kritik eines solchen Films kein kurzer Text, sondern eher ein langer Film sein. Vielleicht auch eine Performance, eine Installation oder eine Doktorarbeit.