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Dirk Steinkühler
Romeo und wie er die Welt sah
Der Schnitt - Portrait
1/98 Nr.9
1998
S.46

In den dokumentarischen Kurzfilmen von Romeo Grünfelder erzählen ganz besondere Mitmenschen aus ihrem Leben und über ihre Träume, wobei dem Filmemacher eine interessante Verbindung von Fiktion und Realität gelingt.

 

Der Hamburger Kunst und Musikhochschulstudent Romeo Grünfelder nutzt für seine Filme die Möglichkeiten des Mediums vor allem unter kommunikativen Aspekten, indem er duch die Anwesenheit der kamera außergewöhnliche Persönlichkeiten dazu bewegt, über ihr Schicksal, ihre Träume oder Phantasien zu erzählen. Die eingefangene Atmosphäre wird von milieuorientierten Metaphern und Tönen oder dezenter Hintergundmusik unterstützt. Einigen teilen dieser zumeist unterhaltsamen Selbstdarstellungen liegt eine mediale oder ihre eigengedankliche Phantasievorstellung zugrunde, die optional auch eine filmische sein könnte und die im Kontrast zur Realität steht.

Doch Romeo Grünfelder bleibt bei seinem authentischen material und kommentiert die aufgenommenen Bilder nicht durch interpretative Montage. Seine Filme geraten nicht zu Freak Shows, sondern leben von dem spürbaren Interesse an den Protagonisten. Hier soll der Zuschauer nicht respektlos ablachen, sondern duch die Verbindung des Erzählten mit dem realen Umfald für die Situation der Protagonisten sensibilisiert werden. Dies gelingt schon in Grünfelders Debut Jimmy jenseits, wenn eben dieser seine vermeintlichen Begegnungen mit einer schönen unbekannten erotisch ausschmückt und wir ihn zugleich in seinen ärmlichen und bedrückenden, alltäglichen Lebensverhältnissen sehen. Ebenso eindeutig fällt diese Verbindungin Shahrzadeh Scampolo aus, seinem Portrait der ehemaligen Tänzerin Scampi Nater. Alte Filmaufnahmen zeigen sie zunächst als Bauchtänzerin in einem frühen persischen Kinofilm, bevor sie von ihrem immerwährenden Wunsch, ein Filmstar zu werden, und ihrer Zeit am Hof des Schahs erzählt. Dabei sehen wir Scampi als alte Dame, deren Körper von ihrem Leben und ihrer ambitionierten aber wohl relativ erfolglosen Tanzkarriere gezeichnet ist. Traum und Realität verschwimmen in ihren Erzählungen aus besseren Zeiten, bilden eine von den meisten Zuhörern bevorzugte Konstruktion aus glamouröser Filmwelt und exotischen Lebensphasen. Wir nehmen Scampi als eine Frau wahr, deren Bild sich aus den kaum unterscheidbaren Blicken auf das Sein und das Seinwollen zusammensetzt.

Zu einer konsequenten und geschlossenen Einheit von Romeo Grünfelders Werken gehört eine entsprechende Materialwahl und einfache filmische Gestaltung, bei der die inhaltliche und formale Ebene miteinander korrespondieren. Das 16mm Format mit seiner Grobkörnigkeit, die kaum wechselnde Kameraperspektive, sowie das langsame Ausblenden von Bild und Ton passen hervorragend zur Grundstimmung und lassen genügend Raum für die wesentlichen Aspekte der Filme.

Dementsprechend aufwendiger wird vermutlich Grünfelders neuestes Projekt gestaltet sein, das aus finanziellen Gründen noch in der Planungsphase feststeckt. Im Mittelpunkt von borderline pilots werden drei New Yorker Fahrradkuriere stehen, die sich in Outfit und Wesen an den inden USA erfolgreichen X-MEN Comicfiguren orientieren. Pistol Pete, Trash und Fly definieren sich ihren Comicvorbildern entsprechend über ihren Job als Nachrichten-Boten und helfenden Dienstleistern, trotzen dabei jeglicher Gefahr und surfen mit Eishockeytorwarthelmen und Plastikbrustpanzern an den motorisierten Blechlawinen über das Pflaster der Großstadt. Sie schöpfen ihre Kraft aus diesem Spiel mit den Gefahren sowie den heroischen Einsätzen der X-MEN in ihren Comicabenteuern, wobei auchhier die Anwesenheit der Kamera zur Reproduktion eines Wunschbildes führt und Imaginäres und Reales ineinanderlaufen. Das kostengünstigere 16mm Format würde hier zwar noch an die Entstehungszeit der X-MEN in den 60er Jahren erinnern, für eine geplante Morphing Sequenz, die ideal zu den Comic-Illusionen passen und eine entsprechende filmisch eVariante bilden würde, wäre allerdings ein breiteres Filmformat von Vorteil. Dazu ist für di Tonebene die Verwendung von Dikataphonen angedacht, die auf die alltägliche Arbei tder Kuriere mti Walky-Talkys verweist.

Interessanterweise werden die drei Kuriere wie ihre Vorbilder als Aussenseiter behandelt, da der X-Faktor, nämlich ihre Risikobereitschaft und ihr Phantasiereichtum, den meisten Mitmenschen Angst einflößt. Und das klingt irgendwie auch nach den Schwierigkeiten eines jungen Filmemachers, der mit einem eigenwilligen Konzept und sehr speziellen Protagonisten nicht die übliche Masse der Kurzfilmproduktionen bedient!