Wie weit kann man denn in die Zukunft sehen?
Der englische Mathematiker und Physiker Roger Penrose hat sich mit seiner Theorie, dass das menschliche Bewusstsein und der Geist auf Quantenmechanik basieren, durchaus nicht beliebt gemacht. Quantenmechanik – hier setzt der gesunde Menschenverstand des Alltäglichen aus, hier regiert der Zufall, nicht die Kette von Ursache und Wirkung.
Jedoch hat diese umstrittene Theorie durchaus interessante Konsequenzen, sollte sie denn stimmen: Der Mensch könnte in der Lage sein, in die Zukunft zu blicken – und diese zu beeinflussen. Markus Maier ist ein Psychologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat diesen Aspekt der Theorie mit Experimenten überprüft und kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis.
Interview mit Psychologe Markus Maier.
Wie kommt man als Psychologe dazu, Forschung für die Physik zu machen?
Markus Maier: Für mich war es so, dass in meiner Person zwei Interessen zusammenkommen. Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass es Verbindungsstücke zwischen der Physik und der Psychologie gibt. In der Quantenphysik gibt es Begriffe wie Bewusstsein oder Bewusstseinsmoment; dafür haben die Physiker keine mathematische Formel. Sie führen diese Begriffe einfach ein, weil sie diese brauchen. Und dann habe ich mir gedacht, dass vielleicht die Psychologen, die ja sehr viel wissen über das Bewusstsein und Unbewusstsein und wie man es misst, helfen könnten, diese Lücke in der Physik zu schließen. Dann habe ich die Bücher von Roger Penrose gefunden, in denen er mit einem Anästhesisten zusammen spekuliert, wie Quantenphysik zusammenhängt mit Gehirnprozessen und wie das wiederum zusammenhängt mit bewussten und unbewussten Prozessen.
Nun ist ja Penroses Theorie sehr umstritten.
Die ist total umstritten, natürlich. Da stimmt auch vieles wahrscheinlich nicht. Aber Penrose hat über den Tellerrand hinausgeschaut. Er hat es gewagt, etwas Riskantes zu behaupten. Damit stößt er eine Lawine von Forschungsarbeiten an.
Die Kurzzusammenfassung von Penroses Theorie lautet, dass Bewusstsein ein quantenmechanisches Phänomen ist und nicht deterministisch. Welche experimentellen Hinweise gibt es denn dafür?
Keine, die ich kennen würde. Die Theorie ist ja sehr komplex. Zum einen behauptet er, dass im Gehirn quantenmechanische Prozesse stattfinden. Wenn die kollabieren, dann nehmen wir etwas bewusst wahr. Zusätzlich dazu nimmt er dann zusammen mit Hameroff, einem Anästhesisten an, dass die Mikrotubuli, bestimmte Teile im Nervensystem, dafür verantwortlich sind, dass quantenmechanische Superposition entsteht. Dafür gibt es erste biologische Hinweise. Also für Teilaspekte der Theorie gibt es durchaus interessante Befunde, für andere gar nicht. Meine Daten zum Beispiel zeigen möglicherweise, dass es eine Zeitumkehrung im Unbewussten gibt. Dass im Unbewussten Vergangenheit und Zukunft austauschbar sind deutet wohl darauf hin, dass Penroses Annahme stimmt: Nur in der Quantenmechanik kann man eine Zeitumkehrung annehmen. Das ist aber auch umstritten. Man ist also dran, wie bei einem Mosaik einzelne Bausteine experimentell zu überprüfen und müsste sich dann das große Bild noch einmal anschauen.
In Ihren Experimenten ging es also um die Zeitumkehrung im Unbewussten. Was genau haben Sie versucht, da zu erforschen?
Im Prinzip haben wir ein subliminales Priming-Experiment durchgeführt, nur umgedreht. Bei diesem Experiment ist es so, dass etwas dargeboten wird unterhalb der bewussten Wahrnehmung, also subliminal – ein negatives Bild zum Beispiel, und danach wird die emotionale Reaktion gemessen. Das haben wir auch gemacht, nur dass wir es zeitlich umgekehrt haben. Wir haben also vorher die Reaktion erfasst und danach den reaktionsauslösenden Reiz dargeboten. Das macht aus der klassischen Sicht keinen Sinn, weil: Wie sollte etwas kausal auf meine Reaktion wirken, wenn es erst in der Zukunft angeboten wird? Aber in der Theorie von Penrose sollte das durchaus möglich sein, solange die Reaktion und das, was wahrgenommen wird, unbewusst dargeboten werden. Wir wollten nun wissen, ob eine Versuchsperson in der Lage ist, etwas Negatives vorherzusehen und entsprechend darauf zu reagieren, es also zu vermeiden. Die Versuchsperson sollte also keine Ahnung haben, dass in der Zukunft etwas Negatives dargeboten wird, aber auch keine Ahnung davon haben, dass sie reagiert.
Und wie sahen die Experimente dann aus?
Die Versuchspersonen mussten Tasten drücken, ohne dass sie wussten zu welchem Zweck. Eine Taste führte zu einem positiven Bild, die andere zu einem negativen Bild. Wenn die Versuchsperson die Zukunft kennt, müsste sie auch wissen, was potentiell passieren wird und folglich ein unbewusstes Entscheidungsverhalten einbauen. Wenn man keine Ahnung von der Zukunft hat, würde man also zu fünfzig Prozent negative und zu fünfzig Prozent positive Bilder sehen. Was wir finden, ist eine Abweichung der negativen Bilder – im Schnitt 1,7 Prozent Abweichung vom Zufall.
Das ist ja nun sehr wenig. Kann dieser Effekt nicht einfach nur Zufall sein?
Nein, denn es ist signifikant statistisch abgesichert. Außerdem haben wir keinen riesigen Effekt erwartet, denn es ist ja ein sehr komplexes Phänomen. Wir haben ein sehr ungenaues Maß für die Messung der Entscheidung der Person genommen. Außerdem haben wir den Effekt repliziert, was in der Psychologie viel wichtiger ist: dass etwas wiederholt gezeigt werden kann. Ich habe jetzt neun Experimente gemacht, sieben davon haben funktioniert. Aus meiner Erfahrung mit der psychologischen Forschung ist das sehr gut – normalerweise funktioniert bei einem psychologischen Experiment die Hälfte und die andere Hälfte nicht. Die Replikationsrate bei uns ist höher: Sie liegt bei zwei Drittel, sonst wäre ich ja damit niemals an die Öffentlichkeit gegangen.
Sind die entsprechenden Artikel schon veröffentlicht?
Noch nicht. Unsere Forschung wird jetzt auf einer Konferenz im April zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt.
Haben Sie nicht Angst, dann als verrückter Professor dargestellt zu werden?
Nein. Ja, es wird passieren aber ich habe keine Angst davor. Ich glaube, wenn es ein wirklicher Effekt ist, dann ist es wichtig, ihn zu untersuchen, denn das hat Implikationen. Wir sehen in den Experimenten ja, dass es möglich ist, eine negative Zukunft zu vermeiden.
Was machen Sie, wenn jemand versucht, die Experimente nachzumachen und den Effekt erneut nachzuweisen – und es funktioniert nicht?
Dann würde ich sagen, gut, dann habe ich unrecht gehabt. Dann kann ich damit leben. Innovation ist, dass man etwas Verrücktes probiert.
Letzte Frage: Wie weit kann man denn in die Zukunft sehen?
Bei unseren Experimenten 500 ms. Eine halbe Sekunde.
Artikel vom 15.3.2012 aus
Schlagwörter:Präkognition, Psychologie, Roger Penrose, Zukunft