Der Mensch zwischen Zufall, Schicksal und Vorherbestimmung
Von Marc Engelhardt, Deutschlandfunk,
17.01.2012
Im Kernforschungszentrum CERN bei Zürich erforschen Wissenschaftler den Aufbau des Universums. Sie sind der Entdeckung des sogenannten “Gottes”-Teilchens so nah wie noch nie. Muss die Theologie Abschied von der Vorstellung eines allmächtigen Gottes nehmen?
Es sind Fragen, die die Menschheit seit mehr als zwei Jahrtausenden bewegen – wenn nicht schon länger, so lange, wie Menschen begonnen haben, zu glauben. Wenn es einen allmächtigen Gott gibt, sind wir Teil seines göttlichen Plans? Ist alles seit den ersten Tagen des Kosmos und der Welt vorherbestimmt – unser Leben, und auch unser Seelenheil nach dem Tod? Die Fragen nach der Prädestination, der Vorherbestimmung, sind in der theologischen Geschichte immer wieder gestellt worden, sagt Wolfgang Müller, Professor für Dogmatik an der Universität Luzern – endgültig beantwortet wurden sie nie.
Diese Frage ist ein Resultat der Vermählung zwischen biblischem Denken und hellenistischem Denken, weil natürlich es ja auch vor dem biblischen Denken in der Philosophie, denken Sie an Platon, die Stoa, es Vorstellungen von Gott gegeben hat, da gab es eben in der jungen Kirche ein Zusammenkommen zwischen dem biblischen und philosophischen Denken vorsätzlich der Stoa, da hat man dann auch diese Gottesprädikate wie Allmacht, Allgegenwart und so weiter formuliert, die ja in dieser Wortschöpfung auch keine biblischen Begriffe sind.
Die Stoiker im alten Griechenland sprechen vom universellen Prinzip. Jeder Mensch muss seinen Platz in der gegebenen Ordnung erkennen, ausfüllen und notfalls ertragen. Das göttliche Prinzip durchzieht den Kosmos, das Schicksal jedes Einzelnen ist vorbestimmt.
Dieses Weltbild, das sich in ganz Europa ausbreitet, stellt die frühen Christen vor ein Dilemma. Dem um 250 nach Christus geborenen Laktanz wird der Satz zugeschrieben:
“Entweder will Gott die Übel beschreiben und kann es nicht; Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft. Oder er kann es und will es nicht, dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist. Oder er will es nicht und kann es nicht: dann ist er missgünstig und schwach zugleich, also nicht Gott. Oder er will es und kann es, was allein Gott ziemt: woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht weg?”
Für Augustinus, der zweihundert Jahre später lebt, steht es außer Frage, dass alles nach der göttlichen Ordnung der Ursachen geschieht – und nichts aus Zufall. Augustinus hält einen Zufallsglauben für ebenso gottlos wie den Gestirns- und Schicksalsglauben. Die göttliche Weltordnung umfasst alles. Die Übel können entweder eine pädagogische Wirkung auf den Menschen ausüben, oder sind Strafen Gottes für die bösen Taten des Menschen. Das Böse selbst entsteht für Augustinus aus einer freien Willenstat des Menschen. Gott weiß allerdings diese Willenstat voraus und ordnet sie in den Weltenlauf ein.
Bis ins Mittelalter dominiert auch in der breiten Bevölkerung die Überzeugung, dass Gott zu jeder Zeit auf alles einwirkt. Der Dominikanermönch und Philosoph Thomas von Aquin trennt im 13. Jahrhundert die göttliche Freiheit – oder göttliche Allmacht – von der Freiheit des Menschen. Vom Dualismus des Augustinus will Thomas nichts wissen: Gott, so sagt er, sei bedingungslos gut.
Was Thomas von Aquin beschreibt, ist bis heute Grundlage des Verhältnisses der katholischen Kirche zur Prädestination. Der Mensch kann innerhalb des von Gott geschenkten Glaubens frei entscheiden, ob er auf Gottes Heilsangebot eine positive Antwort geben will. Gott nimmt dem Menschen nicht seine Freiheit, er ist das Ziel menschlicher Freiheit.
Anders entwickelt sich die Diskussion in den reformatorischen Kirchen. Luther streitet ab, dass die Menschheit ihr Leben selbst in der Hand hat. Er spricht vom Servum Arbitrium, dem gefangenen, geknechteten Willen. Der von der Erbsünde verdorbene Mensch bedarf der Rechtfertigung. Auch Jean Calvin, der Genfer Reformator, hält es für ausgeschlossen, dass der Mensch sein Seelenheil selbst bestimmen kann.
“Unter Vorherbestimmung, Prädestination, verstehen wir Gottes ewige Anordnung, in der er beschloss, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen Menschen werden sollte. Denn die Menschen werden nicht alle mit der gleichen Bestimmung erschaffen, sondern dem einen wird das ewige Leben, dem andern die ewige Verdammnis vorher zugeordnet.”
Die Aufklärung wirft manche alte Überzeugung über Bord. Nicht mehr die Religion, die Naturwissenschaften sollen auf einmal die Welt erklären. Und die Naturwissenschaften predigen einen unbedingten Determinismus. Ihnen geht es nicht mehr um die Frage, ob das Seelenheil vorbestimmt ist – sondern alles, was existiert. Der französische Philosoph René Descartes prägt den Begriff der Naturgesetze, Regeln, die vorherbestimmen, was in einer bestimmten Situation geschehen muss. Der Mathematiker Pierre-Simon Laplace erschafft den nach ihm benannten Dämon:
“Eine Intelligenz, die zu einem gegebenen Zeitpunkt alle in der Natur wirkenden Kräfte sowie die gegenseitige Lage aller Objekte, aus denen die Welt besteht, kennen würde und überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in einer und derselben Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper des Weltalls und die des leichtesten Atoms beeinflussen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.”
Der Laplacesche Dämon ist ein neuer Gott, der Gott der Naturwissenschaften, die beginnen, alles in Formeln zu erklären. Albert Einstein spottet: das, wobei unsere Berechnungen versagen, nennen wir Zufall.
Für den Philosoph und Autor Georg Brunold, der in seinem Buch ‘Der Triumphzug der Fortuna’ ein Plädoyer für den Zufall und gegen jede Vorherbestimmung hält, zementiert der Determinismus ein Weltbild, das dem Menschen jeder Freiheit beraubt.
Das Ziel der Wissenschaft ist natürlich die Kontrolle, das heißt: Ausmerzung des Zufalls. Die Absicht der philosophischen Betrachtung ist es, das Zufällige zu entfernen, sagte Hegel, und das gilt in Kurzform für die ganze neuzeitliche Wissenschaft
Dass unwahrscheinlich nicht unmöglich oder falsch bedeutet, vermutet Anfang des 20. Jahrhunderts auch der deutsche Physiker Max Planck. Doch ihm selbst ist nicht wohl dabei, als er auf Grundlage seiner Forschungen den Determinismus der newtonschen Physik in Frage stellt.
“Ein Vorgang, in welchen auch nur eine Spur von Indeterminismus hereinspielt, ist als Ganzes indeterminiert – daran kann kein Zweifel bestehen. Es bleibt also nichts übrig, als den Indeterminismus entweder gänzlich auszuschalten oder grundsätzlich allenthalben einzuführen.”
Das geht Planck selbst zu weit. Doch wie sonst will er erklären, dass die von ihm entdeckten Quanten, kleinste Energiemengen, keinem Naturgesetz, keiner Kausalkette folgen? In der klassischen Physik wäre dafür kein Platz. Doch in der neuen Quantenwelt herrscht der nackte Zufall. Was heute allgemein akzeptiert wird, ist zunächst umstritten. Einstein bezweifelt Plancks Ergebnisse mit dem berühmten Satz: Gott würfelt nicht.
Knapp neunzig Jahre später sind Plancks und Einsteins Zweifel Wissenschaftsgeschichte. Im Kernforschungszentrum CERN am Stadtrand von Genf versuchen Wissenschaftler wie Ralf Landua, die Zufälligkeiten der kleinsten Teilchen und damit den Aufbau des Universums zu erforschen.
Ich glaube, es gab gerade in der Physik eine große Revolution vor und nach 1925. Man hat diese Unschärferelation und die limitiert generell die Möglichkeit, alles zu wissen über die Natur. Insofern ist uns seit 1925 klar als Physiker, dass es ultimativ auf elementarer Ebene nur Zufälle gibt. Und nur die Tatsache, dass es über dem Zufall noch eine Gesetzmäßigkeit gibt, das spiegelt uns manchmal vor, es gebe einen Determinismus in der Natur, den gibt es aber nicht
Ob Gott würfelt, weiß Landua nicht – aber er selbst tut im größten Teilchenbeschleuniger der Welt im Kern genau das. Landua und seine Kollegen suchen in der 26,7 Kilometer langen Röhre des Large Hadron Colliders nach dem Beginn der Materie, dem Zustand des Universums unmittelbar nach dem Urknall. Den ringförmigen Beschleuniger nennen die Physiker am CERN auch schlicht Weltmaschine; die gesuchten unsichtbaren Teilchen, die nur an den Spuren ihres Verfalls erkannt werden können, Gott-Partikel.
Wir benutzen den Zufall, weil in all unseren Kollisionen von unseren netten kleinen Elementarteilchen, die Protonen genannt werden, sind die Ergebnisse im Grunde genommen zufällig, nur gesteuert von Wahrscheinlichkeiten, und die Wahrscheinlichkeiten sind extrem klein, um etwas zu finden, das wir noch nicht kennen. Deshalb brauchen wir den glücklichen Zufall, einmal in einer Billion Ereignissen etwas zu finden, das neu ist und das uns einen Hinweis darauf gibt, wie das Universum entstanden ist.
Und doch ist das Bild eines durch und durch allmächtigen Gottes, der den Lauf der Welt bis ins Detail vorherbestimmt hat, nicht passé. Die wachsende Zahl charismatischer Bewegungen und Kirchen in Afrika werben damit, dass ihre Anhänger nicht erst im Jenseits, sondern schon jetzt konkret von Gottes Allmacht profitieren können – persönlich, beruflich, wirtschaftlich. Und in den USA prosperieren konservative Kirchen, in deren Zentrum der Glaube an Gottes allumfassenden Plan steht.
Für diese Kreationisten ist das erste Buch Mose im Alten Testament, die Genesis, eine historische Primärquelle. Nach ihrer Sicht hat Gott tatsächlich in sechs mal 24 Stunden die Welt erschaffen – und am siebten Tag geruht. Die Evolution lehnen sie als mit der Schöpfungsgeschichte unvereinbar ab.
Schlagwörter:Determninismus, Gott, Higgs Teilchen, Schicksal, Zufall