Der französische (bzw englische) Begriff des accident oszilliert zwischen beiden Bedeutungen, die er in der deutschen Übersetzung haben kann – “Zufall” und “Unfall”. Beide Begriffe beschreiben das Eintreten eines Vorfalls, der eine bestimmte Ordnung irritiert oder unterbricht. Im Unterschied zum “Zufall” lässt der “Unfall” stärker an die materielle Dimension dieses Ereignisses denken. In der Regel markiert er eine Unterbrechung oder Störung, die sich an technischen Objekten, an Verfahren oder Systemen ereignet und dort eine Zerstörung bewirkt. Das Akzidentielle, so Virilio, “zeigt das an, was unerwartet eintritt, bei einer Maschine, einem System oder Produkt, das Unerwartete, die Überraschung des Versagens oder der Zerstörung.” (Virilio, Der eigentliche Unfall, Wien 2009) Trotz dieser Betonung des Unerwarteten spricht Virilio zugleich von der “Erfindung” des Zufalls/Unfalls. Demnach würde nicht nur das Substanzielle einer Technik, eines Produkts oder eines Verfahrens “erfunden”, sondern zugleich auch das ihm innewohnende Entgleiten, seine Störung und seine Unvorhersehbarkeit. Wie aber lässt sich das Unerwartbare “erfinden”? Das erscheint zunächst widersprüchlich, da man den Zufall/Unfall für gewöhnlich als ein Ereignis betrachtet, das einem von außen zustößt, das sich ungewollt und unvorhersehbar einstellt und deshalb den Inbegriff dessen darstellt, was sich gerade nicht erfinden lässt. Ein intendierter und vorhersehbarer Zufall/Unfall wäre in diesem Sinne eben kein Zufall/Unfall mehr. Virilio begreift “Erfindung” aber nicht als gezielte, vorhersehbare und bewusste Operation, sondern als “ein unbewusstes Werk, eine Erfindung im Sinne einer Entblößung dessen, was verborgen war.” In diesem Sinne stellen Zufälle/Unfälle zwar manifeste Störungen dar, zugleich stürzen sie aber nicht aus einem unerklärlichen Außen auf den Ablauf ein, sondern sind in ihm bereits latetnt vorhanden – unvorhergesehen, aber von Anfang an möglich, “unerwartet” und “vorprogrammiert” zugleich. (Gmeiner, Bilder aus Versehen, Philo Fine Arts Hamburg, 2010)
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