8. Februar 1974
Aus der ZEIT Nr. 07/1974, Spuk und Spökenkiekerei
Von Thomas von Randow
Niemand weiß, ob es wirklich die Erscheinungen gibt, die man paranormale Phänomene oder im Volksmund schlicht Spuk und Spökenkiekerei nennt, also Gedankenübertragung, Hellsehen, Vorauswissen zukünftiger Ereignisse und die Bewegung oder gestaltliche Veränderung toter materieller Gegenstände allein durch psychische Beeinflussung, die sogenannte Psychokinese. Die Existenz dieser Dinge, die gemeinhin dem „Übernatürlichen“ zugeordnet werden, ist bis zur Stunde in keinem einzigen Fall mit hinreichenden Indizien glaubhaft belegt worden.
Andererseits gibt es immer wieder Menschen, die behaupten, Paranormales erlebt oder beobachtet zu haben. Deshalb darf man nicht leichthin all dies für Unsinn erklären. Zumindest liegt Grund dafür vor, nach möglichen Hinweisen auf das Vorhandensein von Telepathie, Hellsehen und dergleichen zu fahnden und diese zu prüfen, damit die Menschheit hoffentlich einmal Gewißheit in dieser sie allenthalben bewegenden Frage erhält.
Dieser Aufgabe widmen sich die Parapsychologen in speziellen Forschungsstätten, zum Beispiel im Institut für Grenzgebiete der Psychologie der Universität Freiburg.
Diese Wissenschaft hat es aus vielen Gründen recht schwer. Im Gegensatz zu allen anderen Wissenschaften sind die Objekte parapsychologischer Forschung jedem Menschen ohne besondere Vorbildung verständlich. Also kann auch jeder mitreden, sich an dem Für und Wider in der Diskussion über paranormale Phänomene beteiligen. Und weil da alles noch ungeklärt ist, steht die Parapsychologie im Kreuzfeuer des populären Streits zwischen denen, die da glauben, und den Zweiflern.
Das ist nicht die einzige Last, an der die Parapsychologen zu tragen haben. Allzu viele Menschen sind geltungssüchtig, viele haben Freude am Schabernack, manche betrügen aus Gewinnsucht, andere wiederum leiden unter Krankheiten der Seele, die ihnen Trugbilder vorgaukeln und das Vermögen rauben, zwischen Einbildung und Realität zu unterscheiden. Schließlich gibt es noch die große Masse derer, die sich leicht und gern einreden lassen, sie hätten etwas erlebt oder beobachtet, was in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden hat.
Alle diese Leute, von denen einige eine geradezu frappierende Geschicklichkeit im Anwenden raffinierter Manipulationen oder psychologischer Tricks an den Tag legen, sind potentielle Untersuchungsobjekte und damit Fallstricke der psychologischen Grenzwissenschaft.
Auf der anderen Seite ist da die Schar der Glaubensbereiten, die vor lauter Sehnsucht nach einer Bestätigung ihrer Überzeugung bewußt oder unbewußt kritische Stimmen, womöglich auch solche, die in ihnen selbst aufzukeimen versuchen, geflissentlich überhören. Und diesen Störfaktor finden die Parapsychologen nicht selten in den eigenen Reihen.
Streit um die Gültigkeit von Entdeckungen oder Theorien und Gläubigkeit, die manchen Forscher kritikblind macht, das gibt es in allen Wissenschaften und ebenso landläufig ist dort der ewig unbelehrbare Skeptiker. Doch wirkt sich für die Parapsychologie erschwerend aus, daß hier nicht nur die eine oder andere Entdeckung in Zweifel gezogen wird, sondern ihre gesamte Basis, nämlich die Existenz paranormaler Phänomene überhaupt.
Ungeliebte Entlarver
Darum wohl gehen selbst so feinsinnige und kluge Parapsychologen wie Professor Hans Bender, der Leiter des Grenzgebiet-Instituts im Breisgau, recht hart mit denen ins Gericht, die am Paranormalen zu zweifeln wagen. Sie gelten dem Gelehrten als psychisch suspekt. Hans Bender tut denn auch die „Entlarver“ schnell ab, womit er diejenigen meint, die bemüht sind, vorgeblich paranormale Phänomene als Zufallsergebnisse, manipulierte Resultate, Tricks oder Täuschungen zu enttarnen. Mit Recht weist er allerdings darauf hin, daß man die paranormale Natur eines Ereignisses nicht mit dem Nachweis entkräften kann, daß sich die gleiche Erscheinung auch mit einem Trick hervorrufen läßt.
Freilich ist dennoch die Entlarvung in allen Wissenschaften ein gebräuchliches Mittel zur Klärung im Experiment. Wenn ein Physiker zum Beispiel glaubt, mit einem speziellen Empfänger Schwerewellen registriert zu haben (die nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie existieren könnten und analog den Licht- oder Schallwellen die Schwerkraft übertragen), dann wird er sich zunächst fragen, ob diese Registrierung nicht auf einer Täuschung beruht, von anderen Kräften, von einem Fehler in dem Empfänger oder einer sonstigen Störung herrührt. Und wenn er sich einen Mechanismus ausdenken kann, der ihm die Schwerewellen nur vorspiegeln würde, wird er dies als ein schwerwiegendes Argument gegen sein Meßergebnis werten. Fortan muß er sich darum bemühen, die Fehlerquelle auszuschalten und sich so allmählich der Wahrheit nähern.
Der Physiker in unserem Beispiel aber ist im Vergleich mit dem Parapsychologen in einer glücklichen Lage, weil er sein Experiment jederzeit an einem beliebigen Ort wiederholen kann. Diese Reproduzierbarkeit des Versuchs, einer der Grundpfeiler der naturwissenschaftlichen Methodik, ist bei medial begabten Menschen (sofern es sie gibt) nicht unbedingt gegeben. Wenn ein parapsychologisches Experiment mißlingt, dann kann dies an der Stimmung des Mediums oder an der Laboratmosphäre liegen, die ein sorgfältiges Experiment mit sich bringt.
Skeptiker verwirrt dies außerordentlich. Denn sie erfahren immer wieder, daß ein für Medien offenbar unbekömmliches Klima immer gerade dann zu herrschen scheint, wenn man sie besonders strengen Versuchsbedingungen unterwirft. Dies läßt sich schließlich auch als deutlichen Hinweis darauf werten, daß unter den gestrengen Augen ungläubiger Experimentatoren die Gelegenheit zum Tricksen nicht mehr gegeben ist.
Besonders mißlich ist dieser Sachverhalt, weil andererseits in der parapsychologischen Literatur unzählige Para-Phänomene mitgeteilt werden, die angeblich unter Bedingungen zustande gekommen sind, welche einen Betrug oder eine Täuschung definitiv ausschließen. In jenen Fällen also haben plötzlich die strengen Experimentalbedingungen augenscheinlich das Medium nicht gestört. Das alles reimt sich nicht leicht zusammen.
Psi, wie man die unbekannten Kräfte oder Fähigkeiten paranormal begabter Personen kurz bezeichnet, ist zudem merkwürdig moralisch. Seit einem Vierteljahrhundert findet in diesem Lande Woche für Woche ein Zahlenlotto statt; aber man hat nie von einem Lottokönig gehört, der die sechs Richtigen mit seherischer Sicherheit tippt (wo doch kein Gesetz etwa verbietet, daß man sich paranormale Fähigkeiten beim Glücksspiel bedient). Der holländische Hellseher Croiset hat dafür eine simple Erklärung: „Wenn es um Geld geht, versagt die Begabung“ – so einfach ist das.
Wenn nun Psi wirklich so kapriziös und darum auf die naturwissenschaftliche Methodik in der Parapsychologie kein Verlaß ist, dann gibt es für die Verifizierung von Psi-Phänomenen nur das plausible Schließen, dessen sich zum Beispiel Astronomen häufig bedienen müssen: Man sucht nach der Erklärung eines Phänomens, die sich an leichtesten in das bisher erforschte System von Naturgesetzen einordnen läßt und hält dies für gültig, bis ein zwingender Grund vorliegt, diese Erklärung aufzugeben.
Das aber ruft die so ungeliebten Entlarver auf den Plan. Solange irgend jemand ein angeblich paranormales Ereignis ganz ohne „Para“ hervorrufen kann, besteht kein zwingender Grunc, ein Psi-Ereignis zu vermuten. Daran freilich halten sich Parapsychologen offenbar ungern, was das Beispiel von Ted Serios lehrt: Mister Serios, ein ehemaliger Hotelpage und heftiger Trinker, überraschte die wissenschaftliche. Welt mit der Gedankenphotographie. Er kann, so gibt er und so gibt auch sein Manager, Dr. Jule Eisenbul vor, ein Bild, das er sich ausdenkt, auf einen photographischen Film zaubern, indem er durch ein Röhrchen in eine Kamera blickt. just das kann der Zauberkünstler David B. Eisendraht auch, genauso wie Ted Serios, nur daß Eisendraht zugibt, einen Trick dabei zu verwenden und diesen auch veröffentlicht hat. Der Magier hat Herrn Seriös begutachtet, ihn einmal bei einem offensichtlichen Versuch, zu mogeln, ertappt und wohl mit seiner scharfen Aufmerksamkeit bewirkt, daß Ted trotz ungezählter Versuche an zwei Tagen kein Gedankenphoto zustande brachte, während Eisendraht lässig klare Photos aus dem vermeintlichen Nichts zauberte.
Diese Episode, die in der Zeitschrift Populär Photography (Oktober 1967) und in einer Zauber-Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, ist von Parapsychologen bis heute nicht zur Kenntnis genommen worden. In der vorigen Woche erst stellte der holländische Psi-Forscher Tenhaeff am Fernsehen das Kunststück von Ted Serios als „Beweis“ für einen psychokinetischen also paranormalen Vorgang dar.
Wenig Sorgfalt
Parapsychologen, die es ernst meinen, ziehen gern zur Untersuchung absonderlicher Ereignisse Physiker und Techniker zu Rate. Sie gelten offenbar als besonders kritisch, was fraglos eher ein Mythos denn eine Tatsache ist. Die Sorgfalt, die solche Hilfsfahnder walten lassen, ist jedoch gelegentlich verblüffend gering. So berichtet Hans Bender in seinem neuen (und sehr lesenswerten) Buch „Verborgene Wirklichkeit“ (Walter-Verlag) über sporadisch gesprochene Satzfetzen auf Tonbändern. Er nennt sie „Einspielungen“, deren Herkunft ihm mysteriös vorkommen, weil sie während des Experiments, an dem sich mehrere Personen unterhaltend beteiligten, nachweislich nicht gesprochen wurden. Medialer Spiritus dieses Stimmphänomens soll ein okkultgläubiger Schwede sein, in dessen Gegenwart die Einspielungen, die übrigens äußerst schwach und darum nur mit geübtem Ohr vernehmbar sind, stattfanden.
Bender beschreibt die Vorkehrungen, die getroffen wurden, um ein mögliches Eindringen von Sendungen irgendwelcher Radiostationen in das Tonbandgerät zu verhindern. Wer sich in der Hochfrequenztechnik auskennt, kann über diese rührend einfachen Vorkehrungen nur lächeln. Radio wellen, besonders die kurzen und ultrakurzen, sind tückisch. Sie lassen sich nicht leicht mit einem „Faradayschen Käfig“, wie der Autor meint, abschirmen. Sie dringen durch feine Ritzen und – sehr zum Leidwesen von Funkamateuren – über das Lichtnetz in elektronische Geräte ein. Sie lassen sich in einem Versuchsraum auch nicht unbedingt mit einem Ferritstab und einem kommerziellen Radio, wie der in dem Buch zitierte Ingenieur Lemke glaubt, nachweisen.
Was die vermeintliche Geisterstimme gesagt haben soll, klingt – soweit es in dem Buch zitiert ist – verdächtig nach möglichen Gesprächsfragmenten von Hobbyfunkern. Besonders der Satz: „Man zieht einfach die Antenne raus“, der sehr deutlich gewesen sein soll, und die nur teilweise deutbaren Brocken in nicht einwandfreiem Englisch sprechen dafür. Funkamateure sind notorisch für einen höchst eigenwilligen Umgang mit Sprachen und Codewörtern.
Ehe man die Geister Verstorbener oder mediale Kräfte bemüht, sollten zuerst alle denkbar technischen Erklärungen ausgelotet werden. Das übersteigt sicher oft die Möglichkeiten eines Instituts für psychologische Grenzfragen, wie aufrichtig es sich auch darum bemühen mag. Darum schlagen wohlmeinende Beobachter der parapsychologischen Szene vor, die Abklärung absonderlicher Begebenheiten zunächst ohne Parapsychologen von Fachleuten im Trickbetrug wie Zauberkünstlern oder Kriminalpolizisten und von hartgesottenen Skeptikern vornehmen zu lassen, ehe sie den Parapsychologen überlassen werden. Sie, die doch so viel über die Ungereimtheiten des Verhaltens wissen, sollten auch ihrer eigenen Objektivität mißtrauen und einer solchen Arbeitsteilung zustimmen. Ohne Zweifel würden sie damit manche peinliche Überraschung und manche Angriffsfläche vermeiden, was einer Wissenschaft, derer wir so dringend bedürfen, nur helfen könnte.
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Schlagwörter:Parapsychologie, Skeptiker, übernatürlich